Biographische Transformationsprozesse im Kontext außergewöhnlicher Erfahrungen

Den Gegenstandsbereich dieser empirischen Untersuchung bilden Personen, die für sich beanspruchen, außergewöhnliche Erfahrungen in einem besonderen Sinne gemacht zu haben. Gemeint sind hier Erfahrungen im Sinne von übersinnlichen Erfahrungen wie beispielsweise außersinnliche Wahrnehmungen, Telepathie, Hellsehen, Spuk, Kontakt mit verstorbenen oder auch sog. Nahtoderfahrungen. Solche außergewöhnlichen Erfahrungen (AgE), wie sie im Rahmen parapsychologischer Forschung seit langem untersucht werden, wird vielfach eine besondere lebensverändernde Kraft zugeschrieben. Dabei wird neben Veränderungen im Lebensvollzug vor allem auch von grundlegenden Veränderungen in der Wahrnehmung von Zeit, Raum, Realität und menschlicher Existenz gesprochen. Obwohl verschiedene Ansätze von der Grundannahme ausgehen, dass solchen AgE eine Potenz zur Auslösung von Transformationsprozessen innewohnt, sind viele Fragen hinsichtlich Definition, bestimmender Parameter und Verlauf offen. In der Studie steht die Frage im Zentrum, wie Personen, die solche Erfahrungen gemacht haben, diese in eine autobiographische Selbstdarstellung integrieren und wie sie etwaige Transformationsprozesse darstellen. Hierzu wurden biographisch narrative Interviews mit „Betroffenen“ geführt und einer qualitativen Analyse unterzogen. Mit der Methode zur „Rekonstruktion narrativer Identität“ (Lucius-Hoene & Deppermann 2002) findet in dieser Arbeit eine Methodik Anwendung, die sich besonders gut eignet, nicht nur subjektive Deutungen und Erklärungsmuster zu rekonstruieren, sondern auch aufzuzeigen, wie Personen im Sprechen Identitäten dar- und herstellen und welche Bedeutungen sie außergewöhnlichen Erfahrungen in diesem Zusammenhang zuweisen.

In diesem Sinne konzentrieren sich Datenanalyse und Ergebnisdarstellung auf sieben zentrale Aspekte: Zum einen werden die Interviews dahingehend beleuchtet, wie die einzelnen erzählten Lebensgeschichten strukturiert sind, welche AgE erzählt werden und wie diese formal und thematisch in die autobiographische Erzählung eingebettet sind. Zum Zweiten wird untersucht, ob die einzelnen Erzähler Veränderungen im Kontext der AgE erwähnen und wenn ja, welcher Art diese Veränderungen sind.

Wichtig schien vor dem Hintergrund der Fragestellung und aufgrund der ersten Auswertungsergebnisse zum dritten, welchen Stellenwert die einzelnen Erzähler diesen Veränderungen zuweisen. Ein vierter Aspekt bezieht sich auf die Frage, wie die Erzähler die zeitliche Strukturierung dieser Veränderungen gestalten, d.h. welche Prozesse der Veränderung sprachlich dargestellt werden. Vor dem Hintergrund, dass in der Forschungs- und Populärliteratur häufig angenommen wird, dass außergewöhnliche Erfahrungen eine Art Schock und eine Krise auslösen könnten, werden die autobiographischen Erzählungen schließlich auch dahingehend untersucht, ob und wenn ja wie Krisen im Kontext der AgE thematisiert werden.

Bei der Analyse der Interviewtexte fiel auf, dass einzelne autobiographische Erzählungen dadurch gekennzeichnet sind, dass die Erzähler sehr stark das Besondere ihrer Person hervorheben, während andere sehr stark gerade die grundsätzliche Normalität ihrer Person hervorheben. Untersucht wurde unter dem 6. Aspekt daher, welche Muster der Normalisierung und Besonderung in den Interviewtexten herausgearbeitet werden können und welche sprachlichen Mittel die Erzähler hierbei verwenden. Der siebte Aspekt bezieht sich schließlich auf die Dar- und Herstellung von Handlungsmöglichkeiten und –initiative, von Handlungsmacht und –kontrolle. Der empirische Teil der Arbeit umfasst die Beschreibung jeweils verschiedene Darstellungsformen in Bezug auf diese sieben Aspekte.

Doktorandin: Dipl. Psych. Christina Schäfer

Betreuung am IGPP:
PD Dr. Michael Schetsche
Dr. Gerhard Mayer

Publikationen:

Schäfer, C. & Mayer, G. (2011). Grenzerfahrung, Krise, Identität: Biografische Integration außergewöhnlicher Erfahrungen. Zeitschrift für Anomalistik, 11(1+2+3), 78-112.

Schäfer, Christina Sandra (2007) Außergewöhnliche Erfahrungen: Konstruktion von Identität und Veränderung in autobiographischen Erzählungen. Online-Publikation.