Geist und Materie
Bewusstseinszustände und neuronale Zustände korrelieren miteinander, aber die Natur dieser psychophysischen Korrelationen ist bis heute unverstanden. Die Hirnforschung konnte bislang keine überzeugenden theoretischen oder empirischen Belege dafür liefern, dass sich mentale Zustände mit neuronalen Zuständen gleichsetzen oder kausal auf diese zurückführen lassen.
Eine vielversprechende Alternative zu physikalistischen Erklärungsversuchen ist der Duale-Aspekte-Monismus, der Geist und Materie als komplementäre Aspekte einer psychophysisch neutralen Wirklichkeit begreift. Die Vorstellung einer unanschaulichen Ganzheit, die sich auf zwei Weisen manifestiert, kommt zum Beispiel im chinesischen Yin-Yang-Prinzip zum Ausdruck, dessen symbolische Darstellung der berühmte Physiker Niels Bohr in seinem persönlichen Wappen nutzte, um das Prinzip der Komplementarität zu veranschaulichen. In der in der europäischen Philosophie findet sich bei Spinoza ein früher Ansatz dieser Denkrichtung, von der sich seitdem verschiedene Varianten entwickelt haben (Atmanspacher, 2014; Atmanspacher & Rickles, 2022).
Von besonderer Bedeutung für das Verständnis von außergewöhnlichen Phänomenen und Erfahrungen ist der „Pauli-Jung-Dialog“ (Atmanspacher & Fach, 2015, 2019; Fach, 2017): Anfang der 1930er-Jahre hat der Tiefenpsychologe Carl Gustav Jung mit dem Begriff der „Synchronizität“ ein Prinzip beschrieben, bei dem „ohne kausale Verbindung NichtPsychisches sich wie Psychisches et vice versa verhalten kann“ (Jung, 1984, S. 57). Jung und der Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli haben diese Möglichkeit unter Einbezug von Konzepten und Vorstellungen aus der Quantenphysik in einem Briefwechsel bis in die 1950er-Jahre gemeinsam ausgelotet. Sie nahmen an, dass analog zum sogenannten Heisenbergschnitt der Physik, bei dem mit der Messung an einem Quantensystem zuvor noch nicht vorhandene Objekte und Eigenschaften entstehen, in gleicher Weise mentale „Gegenstände“ wie Gedanken und Vorstellungen mit ihrer inneren Beobachtung aus einem undifferenzierten Unbewussten hervorgehen.
Wie in Abbildung 1 veranschaulicht, kennzeichnen die Bewusstseinsschwelle und der Heisenbergschnitt den Symmetriebruch bzw. den Übergang von der psychophysisch neutralen Realität in einen epistemischen Dualismus mentaler und materieller Aspekte. Unter dieser Voraussetzung gibt es keine direkten Wechselwirkungen, sondern nur Korrelationen zwischen Geist und Materie, die als komplementäre Beschreibungen der zugrunde liegenden Ganzheit aufzufassen sind (Fach, 2011, 2014).
„Komplementarität“ ist ein erkenntnistheoretischer Begriff für Beschreibungen, die einander zugleich ausschließen und ergänzen und zum Verständnis eines Ganzen notwendig sind. In der Physik bezeichnet Komplementarität insbesondere die Inkompatibilität von Messgrößen wie zum Beispiel den Impuls und Ort eines Teilchens. Je präziser etwa die Messung des Impulses, desto weniger kann über den Ort gesagt werden und umgekehrt. Beim Welle-Teilchen-Dualismus schließt die Beobachtung der einen Eigenschaft die der anderen komplett aus.
Ein verbreitetes Beispiel zur Veranschaulichung von Komplementarität im mentalen Bereich ist die bistabile Wahrnehmung von Kippbildern und die Oszillation der Figur-Grund-Wahrnehmung. Bei Betrachtung des Motivs in Abbildung 2 sieht man entweder eine weiße Vase oder zwei schwarze Gesichter. Die mentalen Repräsentationen ergänzen sich notwendig, denn ein Aspekt bildet den Hintergrund, vor dem der andere hervortritt, aber beide können nie zugleich gesehen werden.
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Literatur
Atmanspacher, H. (2014). 20th century variants of dual-aspect thinking. Mind and Matter, 12(2), 245–288.
Atmanspacher, H. & Fach, W. (2015). Mind-matter correlations in dual-aspect monism according to Pauli and Jung. In E. F. Kelly, A. Crabtree & P. Marshall (Hrsg.), Beyond physicalism. Toward reconciliation of science and spirituality (S. 195–226). Lanham, MD: Rowman & Littlefield.
Atmanspacher, H. & Fach, W. (2019). Exceptional experiences of stable and unstable mental states, understood from a dual-aspect point of view. Philosophies, 4(1), 1–21. https://doi.org/10.3390/philosophies4010007
Atmanspacher, H. & Rickles, D. (2022). Dual-aspect monism and the deep structure of meaning. Milton: Taylor & Francis.
Fach, W. (2011). Phenomenological aspects of complementarity and entanglement in exceptional human experiences (ExE). Axiomathes, 21(2), 233–247. https://doi.org/10.1007/s10516-010-9143-7
Fach, W. (2014). Complementary aspects of mind-matter correlations in exceptional human experiences. In H. Atmanspacher & C. A. Fuchs (Hrsg.), The Pauli-Jung conjecture and its impact today (S. 255–273). Exeter: Springer.
Fach, W. (2017). Ein psychophysischer Modellansatz zum Verständnis außergewöhnlicher Erfahrungen. In L. Hofmann & P. Heise (Hrsg.), Spiritualität und spirituelle Krisen. Handbuch zu Theorie, Forschung und Praxis (S. 124–138). Stuttgart: Schattauer.
Jung, C. G. (1984). Archetyp und Unbewusstes (Grundwerk, Bd. 2). Olten: Walter.