Die sechs typischen AgE-Formenkreise in der IGPP-Beratung bilden wie in Abbildung 1 dargestellt ein phänomenologisches Spektrum zweier Kontinua, bei denen sich zunächst rein perzeptive Phänomene in jeweils folgenden Formenkreisen zu intrusiven internalen oder externalen Phänomenen ausbilden, die am Ende die Verhaltenssteuerung okkupieren und zu psychophysischen Dissoziationen führen. Die beiden Kontinua korrespondieren phänomenologisch mit spezifischen Abweichungen von Autonomie und Bindung. Internal beginnen die Phänomene mit Außersinnlicher Wahrnehmung (ASW) und führen über Internale Präsenz und Beeinflussung (IPR) bis zu Mediumismus und Automatismen (MED). Bei den externalen Phänomenen verläuft die Entwicklung ausgehend von Sinnvollen Fügungen (SIN) über Spuk und Erscheinungen (SPK) bis zu Nachtmahr und Schlafparalyse (NAM). Internale Phänomene führen im Stadium der Okkupation zu einem Verlust von Autonomie (Automatismen). Externale Phänomene führen zunehmend zu einem Verlust von Bindung (Paralyse).
Parapsychologie und paranormale Phänomene
Statistische Analysen von mehr als 2300 dokumentierten Beratungsfällen zeigen, dass sich die Ratsuchenden in Abhängigkeit von den AgE-Formenkreisen, über die sie berichten, signifikant hinsichtlich ihrer sozialen Bindung (Partnerschaft, Familienstand, Wohnsituation etc.) unterscheiden (Fach, 2022, 2024). Besonders prägnant sind die hochsignifikanten (p < .001) Unterschiede bezüglich fester Partnerschaft/Ehe: Auf dem internalen Kontinuum sinkt der Anteil der Ratsuchenden in Partnerschaft/Ehe ausgehend von 55 % (ASW) auf 41 % (IPR), und steigt dann auf 61 % (MED) an. Beim externalen Kontinuum steigt der Anteil an Ehe/Partnerschaft ausgehend von 56 % (SIN) auf 61 % (SPK) und fällt auf 35 % (NAM) ab. Vor diesem Hintergrund und gestützt auf biografische Analysen und Erfahrungswissen aus der Beratungspraxis gehen wir davon aus, dass sich Ratsuchende mit AgE durch unsichere Bindungsstile auszeichnen. Sicher gebundene Menschen können ihre Grundbedürfnisse nach Autonomie und Bindung gut befriedigen. Negative Bindungserfahrungen, insbesondere in der frühen Kindheit, können sich zu unsicheren Bindungsstilen ausprägen. Die Bindungsforschung beschreibt zwei grundsätzliche Varianten: Personen mit einem distanzierten Stil vermeiden Bindung, weil sie diese als Bedrohung ihrer Autonomie wahrnehmen, umgekehrt vermeiden Personen mit einem verstrickten Stil Autonomie, weil sie fürchten, dadurch Bindung zu verlieren. Häufig treten beide Verhaltenskomponenten auch in einem gemischten, dabei aber organisierten Stil auf. Insbesondere wenn es schwere Traumatisierungen und Verlusterlebnisse im Kleinkindalter gab, zeigen Menschen in Krisensituationen ein desorganisiertes Bindungsverhalten.
Klinische Parapsychologie und Bindungsforschung: Bindungsstile bei Außergewöhnlichen Erfahrungen
Vortrag von Wolfgang Fach am 23.01.2024 im Kolloquium des IGPP
Die bisherigen Erkenntnisse lassen, wie in Abbildung 2 dargestellt, bei Koinzidenzphänomenen (ASW, SIN) auf einen gemischten, bei internalen Phänomenen (IPR) auf einen distanzierten, bei externalen Phänomenen (SPK) auf einen verstrickten Bindungsstil schließen. Dass die soziale Bindung bei Ratsuchenden mit dissoziativen Phänomenen (MED, NAM) den ihnen vorgeordneten Formenkreisen widersprechen, deutet auf einen desorganisierten Bindungsstil hin. Dieser könnte daraus resultieren, dass die aktuelle Bindungssituation nicht kompatibel mit dem genuinen Bindungsstil der Betroffenen ist: Die Bindung des MED-Typs steht dessen Autonomiebedürfnis und die Autonomie des NAM-Typs dessen Bindungsbedürfnis entgegen. Um die hypothetischen Zusammenhänge zu überprüfen, ist eine Pilotstudie mit 30 Ratsuchenden geplant, wobei jeweils fünf Ratsuchende einen der sechs AgE-Formenkreise repräsentieren. Die Ratsuchenden werden mit dem „Erwachsenen-Bindungsprototypen-Rating“ (EBPR) befragt. Das EBPR ist ein standardisiertes Interview, mit dem Bindungserfahrungen in der Kindheit bis hin zur gegenwärtigen Beziehungssituation exploriert werden. Die Interviews werden von vier Mitarbeitenden des beratungspsychologischen Bereichs durchgeführt, die eigens ein zertifiziertes Training für die Durchführung des EBPR-Interviews und dessen Auswertung absolviert haben. Die Interviews dauern etwa 1 ½ Stunden und werden mit Video aufgezeichnet. Anhand der Aufzeichnungen erfolgt mit einem speziellen Ratingverfahren unabhängig voneinander durch jeweils zwei Beurteilende die Einschätzung der Bindungsstile. Im Vorfeld der Interviews werden diverse Fragebogen eingesetzt, um Korrelationen der Bindungsstile mit AgE und weiteren Persönlichkeitsmerkmalen zu untersuchen.
Projektteam
Publikationen
Fach, W. (2022). Exceptional Experiences (ExE) and bonding styles: Autonomy and bonding as basic human needs and as structural determinants of ExE. Psycho-therapy Section Review(67), 12–41. https://doi.org/10.53841/bpspsr.2022.1.67.12
Fach, W. (2024). Das Spektrum des Außergewöhnlichen. Konzeptionelle Ansätze, empirisch-phänomenologische Untersuchungen und plananalytische Fallstudien zur mentalen Repräsentation bei außergewöhnlichen Erfahrungen [Dissertation]. Universität Bern. https://boristheses.unibe.ch/5179/