Die in der Folge des Großbritannien-Fluges von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß durch das Reichssicherheitshauptamt der SS koordinierte „Aktion gegen Geheimlehren und sogenannte Geheimwissenschaften“ im Juni 1941 – später auch als „Sonderaktion Heß“ bezeichnet – kann als absolut einschneidendes Ereignis für die Entwicklungsgeschichte der Parapsychologie und des sogenannten Wissenschaftlichen Okkultismus im 20. Jahrhundert betrachtet werden. Durch die damit verbundene flächendeckende Ausschaltung der Vertreter/innen des Wissenschaftlichen Okkultismus und vor allem der Astrologie sowie durch die Konfiszierung zahlreicher Privatarchive, Privatbibliotheken, Buchhandels- Antiquariats- und Verlagsbestände wurde diese ganze „Szene“ bis auf wenige Ausnahmen zunächst zerschlagen, was weitreichende Auswirkungen nach sich zog. In vielen Fällen gab es für die Betroffenen weitere gravierende Repressalien wie Hausdurchsuchungen, Schutzhaft, Konzentrationslagerhaft – bis hin zu Todesfällen und Ermordungen.
In augenfälligem Gegensatz zur Bedeutsamkeit dieses Geschehens steht der Befund seiner unzureichenden Erforschung. Der momentane Forschungsstand geht auf das Jahr 2012 zurück, als erstmals eine überblicksartige Zusammenfassung vorgelegt wurde (Schellinger, 2012). Die „Sonderaktion Heß“ war zuvor in unterschiedlicher Intensität in einigen Publikationen (Hausmann, 2006; Howe, 1995; Staudenmaier, 2010; Treitel, 2004; Werner, 1999) schon angesprochen worden, ohne dass jedoch eine eingehende Beschäftigung stattgefunden hat. Seit mehr als einem Jahrzehnt haben also keine konkreten Forschungen zu diesem wichtigen Ereignis mehr stattgefunden.
Es fehlt demnach weiterhin an einer umfassenden Darstellung dieser nationalsozialistischen Großrazzia vom Juni 1941. Diese sollte vor allem auch die damaligen lokalen und regionalen Abläufe berücksichtigen. Die Aktion wurde in den Regionen von den zuständigen SD-, Kripo- und Gestapo- Leitstellen koordiniert, die wiederum ihre Außenstellen-Mitarbeiter aktivierten. Hier gibt es bislang keinerlei Kenntnisse über möglicherweise unterschiedliche Verläufe und Vorgehensweisen der Täterseite, die man dann vergleichend analysieren könnte. Ebenso fehlt es an Kenntnissen darüber, welche NS-Akteure auf den mittleren und unteren Ebenen für die Durchführung der Razzia zuständig waren und wer hier konkret aktiv mitwirkte.
Als wichtige Quellenbasis für die Opferseite können die Unterlagen zahlreicher Wiedergutmachungs- und Entschädigungsverfahren herangezogen werden, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit von Betroffenen juristisch angestrengt wurden. Wie verschiedene Stichproben gezeigt haben, sind in den Aktenüberlieferung zu diesen Verfahren vielfältige und auch detaillierte Informationen über die Ereignisse im Juni 1941 zu finden. Allerdings gibt es noch keinerlei Erhebungen über die Anzahl der dokumentierten Fälle. Erste Schätzungen über die Zahl der Betroffenen (Howe, 1995) erfolgten ohne jegliche Quellenbelege, man bewegt sich in diesem Zusammenhang aktuell völlig im Ungewissen. Die genannte Zahl von bis zu 1000 betroffenen Astrologen, Anthroposophen, „Geheimwissenschaftlern“, Okkultisten und Parapsychologen scheint nur einen gewissen Ausschnitt der Gesamtaktion zu bezeichnen und bedarf einer quellenmäßig abgesicherten Überprüfung. Bekannt ist aus früheren Recherchen, dass sich im Bundearchiv (BArch) umfangreiche, für den Zweck der Razzia von den regionalen SS-Leitstellen erstellte Namenslisten von „Verdächtigen“ befinden. Diese bislang noch nicht ausgewerteten Auflistungen im BArch ließen bei einer kursorischen Durchsicht erkennen, dass die Anzahl der betroffenen Personen sehr deutlich über 1000 hinausgehen dürfte.
Zusätzliche, v.a. personenbezogene Quellen (i.d.R. aus Staats- und Kommunalarchiven) wären hinzuzuziehen, um für einzelne Fallstudien die biographischen Verläufe von Opfern und Tätern nachzuzeichnen. Ebenso helfen Archivunterlagen, um die Auswirkungen der „Sonderaktion Heß“ für die zahlreichen betroffenen Buchhandlungen, Antiquariate und Verlage zu untersuchen, die im Juni 1941 in ihrer ökonomischen Existenz gefährdet wurden oder sogar zur Geschäftsaufgabe gezwungen waren. Interessant ist schließlich ein Blick auf die Forschungsgeschichte zu diesem Ereignis, die auf dem Hintergrund der Wiedergutmachungsverfahren schon in den 1950er Jahren mit Recherchen des Instituts für Zeitgeschichte in München (IfZ) begonnen hat. Im Archiv des IfZ sind die Unterlagen zu den ersten Schritten einer wissenschaftlichen Untersuchung der Aktion aufbewahrt, die zwar schon kursorisch gesichtet wurden, aber über weitere Anhaltspunkte verfügen. Zu erfragen ist, wer sich seinerzeit mit dem Thema befasst hat, wieso es völlig in den Hintergrund geriet und weshalb es dann erst in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wieder in der Forschung auftauchte.