Die Wahrnehmung der uns umgebenden Welt ist geprägt von Erinnerungen und daraus resultierenden Vorhersagen über zukünftige Ereignisse. Dies geschieht sowohl auf der bewusst erlebbaren Ebene, aber auch bei sehr kurzen (im Bereich von Millisekunden), unbewussten Prozessen im Gehirn. Eine Abweichung bei der Integration solcher zeitlichen Aspekte im Wahrnehmungsprozess wird als mögliche Ursache für psychiatrische Störungsbilder wie der Schizophrenie gesehen. In einem ersten Projekt konnten wir dafür experimentelle Bestätigung mit Hilfe des Elektroenzephalogramms (EEG) finden: In zwei verschiedenen experimentellen Paradigmen zeigte sich, dass die Hirnaktivität, die auf eine Reizpräsentation folgt, bei Neurotypischen über wiederholte Reizpräsentationen hinweg meist zur gleichen Zeit stattfindet, siehe Abbildung 1. Bei Patient*Innen mit Schizophrenie allerdings, war diese Hirnaktivität für sich zwar gleich stark ausgeprägt, aber zeitlich nicht so genau auf die Reizpräsentation abgestimmt. Solche Millisekunden-Verschiebungen der Hirnaktivität könnten die Verarbeitung auf längeren Zeitskalen und somit höhere und komplexere Inhalte beeinflussen und Auswirkungen bis in das bewusste Erleben und somit auf Symptomebene haben.
Geist und Materie
EEG-Korrelate der Integration zeitlicher Aspekte in den Wahrnehmungsprozess

Abbildung 1
Schematische Illustration der zeitlichen Regelmäßigkeit bei der Reizverarbeitung von Schachbrettmustern. Bei Neurotypischen findet die Hirnaktivität in Relation zum Reizanfang meist zur gleichen Zeit statt, bei Patient*Innen mit Schizophrenie gibt es eine zeitliche Ungenauigkeit.
In einem nächsten Schritt werden wir die Integration zeitlichen Aspekte bei der Wahrnehmung untersuchen, wenn die sensorische Information verrauscht oder mehrdeutig ist. Im Labor können wir diese Situation mithilfe mehrdeutiger Figuren hervorrufen, bei denen ein Bild für zwei mögliche Interpretation erlaubt (z.B. den Necker Würfel, s. Abb. 2 & Onlinedemo: https://michaelbach.de/ot/sze-Necker/index-de.html).

Abbildung 2
Zu sehen ist der mehrdeutige Neckerwürfel (a), welchen man auf zwei Weisen sehen kann: die Frontseite kann entweder nach rechts unten zeigen, entsprechend in (b) links mit Schatten angedeutet, oder die Frontseite kann nach links oben zeigen, entsprechend in (b) rechts mit Schatten angedeutet.
Projektteam
Publikationen
Wilson, M., Joos, E., Giersch, A., Bonnefond, A., Tebartz Van Elst, L., Hecker, L., & Kornmeier, J. (2024). Do smaller P300 amplitudes in schizophrenia result from larger variability in temporal processing? Schizophrenia, 10(1), 104. https://doi.org/10.1038/s41537-024-00519-4