Geist und Materie
Trotz der bisherigen Erfolgsgeschichte naturwissenschaftlicher und insbesondere neurowissenschaftlicher Forschung gibt es noch keine überzeugenden Antworten auf zentrale Fragen zu Bewusstsein, freiem Willen oder zum psychophysischen Problem. Interessant in diesem Zusammenhang sind allerdings Überlegungen, die der Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli und der berühmte Psychiater Carl Gustav Jung (z.B. Atmanspacher & Fuchs 2014) zusammen angestellt haben und die schließlich Atmanspacher und Kollegen zur Formulierung der „Verallgemeinerten Quantentheorie“ führten (Atmanspacher et al. 2002). Die Verallgemeinerte Quantentheorie ist eine formale Rahmentheorie, die eine Anwendung mathematischer Grundlagen auch jenseits der Physik erlaubt, und aus der sich präzise und empirisch überprüfbare Hypothesen ableiten lassen. Ein sehr guter Übersichtsartikel von Harald Atmanspacher befindet sich in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (Atmanspacher 2020).
Atmanspacher und Kollegen wählten Bistabilität von Kippfiguren als Modellsituation für diese Theorie und entwickelten das sogenannte Necker-Zeno Modell für bistabile Wahrnehmung, das auf quantentheoretischen Überlegungen basiert (Atmanspacher et al. 2004, 2008). Das Necker-Zeno Modell präsentiert eine Relation dreier Observablen von drei verschiedenen Zeitskalen, die in Psychologie und Kognitionswissenschaften häufig diskutiert werden. In den vergangenen Jahren konnten wir sowohl psychophysische als auch elektrophysiologische empirische Bestätigung dieser Relation finden. Insbesondere postulieren die Autoren des Necker-Zeno Modells erhöhte Werte auf bestimmten Zeitskalen bei Menschen mit Meditationserfahrung, was wir vor einiger Zeit in einer EEG-Studie bestätigen konnten (Abb. 1 und Kornmeier et al., 2017).
Abb. 1
Grand mean Daten (± SEM) zur negativen Korrelation zwischen Kipprate bei Betrachtung eines Necker-Würfels (psychophysisches Maß) und Latenz einer Komponente des ereigniskorrelierten Potenzials (CPP: centro-parietal positivity). Das Einhergehen von höheren CPP-Latenzen mit niedrigeren Kippraten wird vom Necker-Zeno Modell auch quantitativ so vorhergesagt. Rote / blaue Sympole = Meditations-erfahrene / unerfahrene Probanden; helle Farben: passive Beobachtung; dunkle Farben: willentlicher Versuch, die Wahrnehmung stabil zu halten. [Abbildung aus Kornmeier et al. 2017]
Publikationen
Atmanspacher, H. (2020). Quantum Approaches to Consciousness. In The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Metaphysics Research Lab, Stanford University. https://plato.stanford.edu/archives/sum2020/entries/qt-consciousness/
Kornmeier, J., Friedel, E., Wittmann, M., & Atmanspacher, H. (2017). EEG correlates of cognitive time scales in the Necker-Zeno model for bistable perception. Consciousness and Cognition, 53, 136–150. https://doi.org/10.1016/j.concog.2017.04.011
Atmanspacher, H., & Fuchs, C. A. (2014). The Pauli-Jung conjecture and its impact today. Imprint Academic. http://books.imprint.co.uk/book/?gcoi=71157109262830
Atmanspacher, H., & Filk, T. (2010). A proposed test of temporal nonlocality in bistable perception. Journal of Mathematical Psychology, 54(3), 314–321. https://doi.org/10.1016/j.jmp.2009.12.001
Atmanspacher, H., Bach, M., Filk, T., Kornmeier, J., & Römer, H. (2008). Cognitive Time Scales in a Necker-Zeno Model for Bistable Perception. The Open Cybernetics and Systemics Journal, 2, 234–251. https://doi.org/10.1016/j.concog.2017.04.011
Atmanspacher, H., Filk, T., & Römer, H. (2004). Quantum Zeno features of bistable perception. Biological Cybernetics, 90, 33–40.
Atmanspacher, H., Römer, H., & Walach, H. (2002). Weak quantum theory: Complementarity and entanglement in physics and beyond. Found Phys, 32, 379–406. https://link.springer.com/article/10.1023/A:1014809312397