Zusammenfassung
Die Schriftstellerin Clara Blüthgen begann ihre medialen Experimente mit ihrem Geist „Otto“ um 1900 in Berlin. Er diktierte Gedichte, zeichnete und kommunizierte durch sie. Claras Körper entwickelte ein spezifisches Sensorium für Ottos Anwesenheit. Ihr Zeigefinger schien sich zu verselbstständigen, wenn er versuchte, mit seiner geliebten „Clara-Frau“ Kontakt aufzunehmen. Im Nachlass von Victor und Clara Blüthgen befindet sich eine große Rarität: eine Holzkiste mit Dutzenden von Blättern, die von dieser intensiven Praxis des medialen Schreibens und Zeichnens zeugen. Leider gibt es keine Ego-Dokumente, die Claras Stimme bei diesen Schreibexperimenten hörbar machen. Der Roman Die Spiritisten (ca. 1901) ihres Mannes Victor wird daher herangezogen, um diese physische Interaktion zwischen Geist und Medium nachzuzeichnen. Victor nutzte diese Episode aus dem Leben seiner Frau, über die er detaillierte Informationen hatte, als Vorlage für den Roman. Das Buch fand seinerzeit in den Berliner Medien große Beachtung. Aus der Perspektive der „lived religion“ konzentriert sich die Fallstudie auf Claras Versuche, ihren Körper sukzessive zu einem Instrument für die haptische Wahrnehmung der Geister der Verstorbenen zu machen.