Gesellschaft – Wissen – Diskurse

Verbreitung und Rezeption des Paranormalen

Einführung: Alltägliche Wunder

„Von jeher wurde das Leben der Menschen begleitet von Erlebnissen, die als außergewöhnlich empfunden wurden. Ahnungen, Wahrträume, Zweites Gesicht, Erscheinungen, Spuk weisen auf eine ‚verborgene Wirklichkeit‘ hin, deren Rätselhaftigkeit die Gemüter immer erregte. Das Tabu der Aufklärung vermochte nicht auszumerzen, was seit Jahrhunderten zum wirklichen Menschen gehört.“ (Hans Bender, 1974, S. 7)

Tatsächlich zeigen Interviewstudien, dass außergewöhnliche Erfahrungen keineswegs selten sind. Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung, so eine repräsentative Umfrage des IGPP aus dem Jahre 2003, verfügt über eigene Erfahrungen mit dem Übersinnlichen, hat Phänomene wie Telepathie, Wahrträume, UFO-Sichtungen oder Erscheinungen Verstorbener schon einmal persönlich erlebt.

Wenigstens in diesem Sinne scheint das Paranormale also etwas recht Normales zu sein, und zumindest quantitativ sollten solche Erfahrungen deshalb nicht als ‚unnormal‘ oder gar ‚pathologisch‘ markiert werden. Gleichwohl ist es vor allem die besondere, eben außergewöhnliche Erlebnisqualität des Paranormalen, die das lebensweltliche und wissenschaftliche, ebenso wie ein gleichbleibend mediales und ästhetisch-künstlerisches Interesse an diesen „Alltagswundern“ begründet.

Balkendiagramm Verbreitung paranormaler Erfahrungen
Abb. 1

Hinzu kommt, dass über die Frage nach der Echtheit paranormaler Phänomene, ihre parapsychologische Beweiskraft und die Schwierigkeit ihrer wissenschaftlichen Erklärbarkeit, bis heute leidenschaftlich gestritten wird. Dies erklärt wohl auch ein kommunikatives Paradox, das in den Interviews zum Vorschein trat: Obwohl Alltagswunder weit verbreitet und fester Bestandteil der Kultur sind, findet das Sprechen über die paranormalen Erfahrungen nur sehr vorsichtig und in einem geschützten Rahmen statt. Denn man weiß, dass die Erfahrungen wissenschaftlich zumeist als unorthodox charakterisiert und die Erfahrungsträger unter Umständen gar als pathologisch stigmatisiert werden.

Alltägliche Wunder 2.0

Anlässlich des 75-jährigen Jubiläums des IGPP im Jahre 2025 wurde eine Wiederholung der oben erwähnten Bevölkerungsumfrage realisiert. Neben dem direkten Vergleich mit der ursprünglichen Studie ist damit auch die Überprüfung der These von der „Gleichförmigkeit des Okkulten“ (Hans Bender) verknüpft, das heißt die Frage nach der gleichermaßen hohen wie stetigen lebensweltlichen Verbreitung solcher Erfahrungen über Zeiträume hinweg.

Für die jüngste Umfrage wurden im Dezember 2024 mehr als 2050 Personen ab 18 Jahren online befragt. Die Zusammensetzung der repräsentativen Stichprobe erfolgte anhand der Quotierungsmerkmale Geschlecht, Alter und Bundesländer. Der Fragebogen enthielt insgesamt 50 Items – eine Mischung aus Wiederholungsfragen der ersten Umfrage sowie neuen Items zu weiteren außergewöhnlichen Erfahrungen (z.B. Nahtoderlebnisse und außerkörperlichen Wahrnehmungen) und Praktiken (z.B. Astrologie, geistige Heilung, Meditation). Zusätzlich ging es um den individuellen Umgang mit den alltäglichen Wundern, vor allem im Hinblick auf möglichen Informations- und Beratungsbedarf.

Was wir herausgefunden haben? Im Vergleich zu den ohnehin schon hohen Zahlen der ersten Studie sind die Verbreitungsraten noch einmal gestiegen: Etwa drei Viertel der Bevölkerung hat selbst schon einmal eine außergewöhnliche Erfahrung gemacht, und erneut lässt sich eine große Offenheit gegenüber paranormalen Phänomenen feststellen.

Projektteam

Publikationen

Bauer, E. & Schetsche, M. (Hrsg.) (2003). Alltägliche Wunder: Erfahrungen mit dem Übersinnlichen – wissenschaftliche Befunde. Würzburg: Ergon.